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„Kritikfähigkeit ist keine Typsache“
Wer in seinem Beruf erfolgreich sein will, muss lernen, mit Kritik umzugehen. Businesscoach Anja Gerber-Oehlmann berät Führungskräfte dabei und verrät PRÄVENTION AKTUELL, wie sie an ihrer Kritikfähigkeit arbeiten können.
„Kritik ist kein abwertendes Werturteil, sondern nur Hilfe für das Werdende“, besagt ein deutsches Sprichwort. Unternehmensberaterin Anja Gerber-Oehlmann sieht das anders: „Im Optimalfall kann uns Kritik helfen besser zu werden. Aber im Normalfall frustriert uns Kritik und löst inneren Widerstand aus.“ Viele Menschen haben daher große Probleme mit Kritik, selbst wenn diese konstruktiv vorgetragen wird. „Mit Kritik sind oft negative Gefühle verbunden“, sagt Gerber-Oehlmann, die den Ratgeber „Zündstoff Kritik“ geschrieben hat. „Diese negativen Gefühle blockieren uns und kratzen an unserem Selbstwertgefühl, weil die Angst vor Ablehnung sehr tief in uns verwurzelt ist. Deshalb tun sich viele Menschen so schwer damit.“
Dabei ist Kritikfähigkeit eine der wichtigsten Eigenschaften für ein erfolgreiches Berufsleben. Nur wer lernt, mit Kritik umzugehen, wird im Beruf langfristig Erfolg haben, ist Gerber-Oehlmann überzeugt. Die Reaktion auf Kritik sage deshalb viel über die kritisierte Person aus: „Wenn ich anderen Böswilligkeit unterstelle, habe ich immer das Gefühl, das geht gegen mich und der macht das ja nur, um mir zu schaden. Wenn ich aber kurz innehalte und das überprüfe, stelle ich fest: ‚Nö, der sagt nur seine Meinung.‘ Mit der kann ich etwas anfangen oder auch nicht.“
Doch die gute Nachricht ist: „Kritikfähigkeit ist keine Typsache, sondern eine Eigenschaft, die wir alle lernen können. Sie hat viel mit Persönlichkeitsentwicklung zu tun.“
Die wichtigste Regel: Bewahren Sie die Ruhe
„Bei Kritik geht es in der Regel nicht um mich als Person, sondern nur darum, wie meine Umwelt mich wahrnimmt“
Äußern Kollegen oder Vorgesetzte Kritik an der Arbeit, sollte Ruhe bewahrt werden, rät Expertin Gerber-Oehlmann. „Sie sollten sich auf keinen Fall sofort rechtfertigen, denn das wirkt immer wie ein Schuldeingeständnis, auch wenn das ein Reflex ist, den wir schon als Kinder gelernt haben.“ Der größte Fehler sei es, zurückzukritisieren und Retourkutschen zu fahren, selbst wenn die geäußerte Kritik unsachlich und vielleicht sogar persönlich war. „Das kann sehr schnell eskalieren, weil dann beide beleidigt sind und das Anliegen des Kritikers, das in dessen Augen ein berechtigtes Anliegen gewesen ist, in den Hintergrund gerät.“
Besser sei es, erst einmal tief durchzuatmen, um das eigene Stresslevel zu senken, und sich anzuhören, was der Kollege zu sagen hat. Es sei darüber hinaus gut, das Gegenüber anschließend um eine Konkretisierung der Kritik zu bitten. „Fragen Sie Ihren Kritiker, was er damit genau meint und was Sie verbessern können. Das lenkt die negative Energie weg von Ihnen und zwingt den Kollegen zu einer Präzisierung der Kritik.“ Und manchmal sei es sinnvoll, die Kritik einfach zu akzeptieren.
SELBSTREFLEKTION STEIGERT DIE KRITIKFÄHIGKEIT
Wer Kritikfähigkeit lernen will, sollte sich nach Ansicht Gerber-Oehlmanns vor Augen führen, dass es bei beruflicher Kritik letztendlich nur darum geht, ob Verhalten A oder Verhalten B an den Tag gelegt werden soll. „Das Erste, was wir machen, ist, uns über den Kritiker zu ärgern. Aber bei Kritik geht es in der Regel nicht um mich als Person, sondern nur darum, wie meine Umwelt mich wahrnimmt. Wenn ich mir das klarmachen kann, wird es automatisch leichter, Kritik zu ertragen.“
Wer kritikfähiger werden will, sollte sich deshalb zunächst einmal selbst reflektieren und sich fragen: Warum macht mir diese Kritik so viel aus? Liegt es am Inhalt der Kritik? Liegt es an der Person, die die Kritik geäußert hat? „Das sind ganz wichtige Schritte, um zu lernen, dass ich nicht perfekt bin und dass mich andere immer wieder kritisieren werden. Das heißt, es geht wirklich um alte Glaubenssätze, die wir uns unbewusst angeeignet haben und die wir hinterfragen müssen.“ Denn entweder habe die Kritik bei genauerem Hinsehen gar nichts mit einem selbst zu tun, sondern mit den Bedürfnissen des anderen. „Oder sie hat etwas mit einem selbst zu tun, weil sie einen wunden Punkt berührt, der aber schon lange, vermutlich seit der Kindheit, in einem schwelt: das Gefühl, nicht gut genug zu sein, nicht wichtig zu sein, nicht liebenswert zu sein, nicht dazuzugehören“, erklärt Kritik-Expertin Gerber-Oehlmann. In diesem Fall könne man dem Kritiker dankbar sein, dass er darauf aufmerksam gemacht hat und man der eigentlichen Ursache der Empfindlichkeit jetzt auf die Spur kommen kann.
WEISEN SIE DEN INNEREN KRITIKER IN SEINE SCHRANKEN
„Meistens ist es unser ‚innerer Kritiker‘, der uns schon längst verurteilt hat und uns schlechte Gefühle macht. Da ist die Kritik der anderen nur ein Abklatsch. Der erste Schritt, um mehr Selbstachtung und ein besseres Selbstwertgefühl zu entwickeln, wäre also, den inneren Kritiker in die Schranken zu weisen“, so Gerber-Oehlmann.
WAS ÄRGERT SIE BESONDERS AN KRITIK?
Wer wirklich an seiner Kritikfähigkeit arbeiten will, sollte aufschreiben, wofür er kritisiert wird und was ihn daran ärgert. Und was er selber nicht an sich und anderen mag. „Das finde ich eine gute Übung, die uns weiterbringt und uns herausfinden lässt, was eigentlich mit uns passiert, und die es leichter macht, daran zu arbeiten“, erklärt Gerber-Oehlmann. Wenn wir uns selber besser verstehen lernen, könnten wir mit uns selbst Mitgefühl haben und uns mit unseren Schwächen annehmen. „Und das macht stark.“
Eine andere Möglichkeit, einen besseren Umgang mit Kritik zu erlernen, sieht sie in der neurolinguistischen Programmierung, kurz NLP. „Da gibt es einige gute Übungen, die schnell helfen können“, sagt sie. Wer Probleme mit Kritik habe, könne sich zum Beispiel vorstellen, dass der Chef mit Micky-Maus-Stimme spreche, und so dem Gesagten die Schärfe nehmen. Ein anderer Trick sei, sich die Situation noch einmal mit sich selbst als Heldenfigur vorzustellen, die dem Chef ganz souverän antwortet und dann von der Bühne tritt. „Das hilft, sich alternative Handlungsweisen einzuprägen, denn dem Gehirn ist es völlig egal, ob das echt war oder nicht. Aber wir können es uns leichter merken und künftig in einer ähnlichen Situation vielleicht sogar anwenden.“
EINE GUTE FEEDBACKKULTUR IM UNTERNEHMEN HILFT
Eine gute Feedbackkultur innerhalb des Unternehmens hilft allerdings beim individuellen Umgang mit Kritik. „Generell ist es so, dass ich als Führungskraft Vorbild bin. So wie ich als Führungskraft im Feedbackgespräch mit Kritik umgehe, zeige ich meinen Mitarbeitern natürlich auch, wie es gehen kann und gehen soll“, sagt Gerber-Oehlmann. Sie schlage Führungskräften in ihren Workshops und Coachings deshalb immer vor, dass sie aktiv um Feedback bitten sollen. Die Mitarbeiter sollen vor allem zwei Fragen beantworten: Was macht die Führungskraft gut und was kann sie besser machen? Das ermutige die Mitarbeiter, sich zu äußern, weiß Gerber-Oehlmann aus ihrer Berufspraxis. Als Führungskraft könne man sich zudem fragen: Was kann ich von meinen Mitarbeitern lernen und was lernen die Mitarbeiter von mir, das sie auf keinen Fall lernen sollten? „Das sind gute Fragen, um sein eigenes Verhalten zu reflektieren und die Feedbackkultur und damit die eigene Kritikfähigkeit zu verbessern.“
KRITIK GEWINNBRINGEND ÄUSSERN
Fragen Sie sich zunächst, ob die Kritik wirklich notwendig ist. „Wir verteilen Kritik oft sehr inflationär“, sagt Unternehmensberaterin Anja Gerber-Oehlmann. Wenn Kritik nötig ist, sollte sie aber so geäußert werden, dass die kritisierte Person diese auch annehmen kann. Das klappt am besten, wenn sie konstruktiv und sachlich geäußert wird. Gerber-Oehlmann nennt dafür als Gedächtnisstütze die WWW-Formel: Wahrnehmung, Wirkung, Wunsch.
1 Wie nehme ich jemanden und seine Arbeit wahr? (Beobachtung von Fakten, keine Verallgemeinerungen)
2 Welche Wirkung haben die Person und ihre Arbeit auf mich? (eigene Gefühle äußern)
3 Welche Veränderung wünsche ich mir? (Wunsch, Bitte, aber keine Forderung stellen)
4 Im Anschluss fragen: Wie sehen Sie das? (Dialog statt schimpfen ermöglicht Konsens)
„Wenn ich in dieser Form und Reihenfolge meine Kritik äußere, sind die Chancen gut, dass mein Gegenüber sie annimmt und die Kritik wirklich eine Verbesserung erzeugen kann“, ist Gerber-Oehlmann überzeugt. „Ich teile dem Kritisierten mit, was mir aufgefallen ist, welche Wirkung das auf mich persönlich hat, und äußere am Schluss einen Wunsch oder Vorschlag, wie eine Verbesserung aussehen könnte.“ Ganz wichtig sei dabei aber, dass die Kritik als Ich-Botschaft formuliert wird, weil Du-Botschaften immer gleich ein Urteil enthielten, weiß Gerber-Oehlmann. „Du-Botschaften haben wir selbst früher immer gehört. ‚Du bist faul, du machst das falsch, du kannst das nicht‘ – und dann sind wir reflexartig im Widerstand. Aber wenn ich von mir rede, habe ich die Chance, dass mein Gegenüber mir zuhört, mich versteht und die Kritik annimmt. Und nur dann hat die Kritik überhaupt die Chance, etwas zu verbessern.“
Zur Person: Anja Gerber-Oehlmann ist Rechtsanwältin und Businesscoach in München. Sie ist unter anderem Autorin des Ratgebers „Zündstoff Kritik“. Gerber-Oehlmann berät Firmen und coacht Führungskräfte zu den Themen Karriere, Krisen und Kompetenzen. Es geht ihr dabei immer darum, die eigenen Stärken zu erkennen und Impulse zu geben, um das Leben eigenverantwortlich und erfolgreich zu gestalten.
Mehr Infos unter: www.go-ahead-consulting.com