Gut zu Fuß

Sicherheitsschuhe haben in erster Linie eine Schutzfunktion. Darüber hinaus spielen gesundheitliche Aspekte eine immer wichtigere Rolle. Im Interview erklärt Orthopädieschuhtechniker Ingo Wietrzychowski, welche Probleme sich aus falschem Schuhwerk ergeben, wie Einlagen helfen und warum Barfußschuhe eine gute Idee sein können.

Interview: Holger Toth (Redaktion)

Warum kommt es bei der Auswahl eines Sicherheitsschuhs auf mehr an als nur die richtige Schutzklasse?
Ingo Wietrzychowski: Weil der menschliche Fuß sehr komplex ist. 26 Knochen und 33 Gelenke wollen gut versorgt sein. Bei der Auswahl der Arbeitsschuhe muss man deshalb die individuelle Fußform berücksichtigen und auf sein Trageempfinden achten.

Woran erkenne ich, dass ich die falschen Schuhe trage?
Wietrzychowski: Wenn mir zum Beispiel schon nach zwei, drei Stunden die Füße wehtun und ich ermüde, kann ich definitiv davon ausgehen, dass die Schuhe nicht die richtigen sind. Schmerzen die Zehen, ist der Schuh vorne zu schmal. Das hat auch ein schlechtes Fußklima zur Folge und kann zu „brennenden“ Füße führen, weil der Fuß nicht atmen und sich nicht aktiv bewegen kann.

Welche Probleme können beim Tragen von falschem Schuhwerk entstehen?
Wietrzychowski: Wenn ich einen breiten Fuß habe und ihn in einen engen Schuh zwänge, kann es passieren, dass sich die Muskulatur und sogar die Knochenstruktur verändern. Vor allem, wenn die Schuhe vorne zu eng sind. Das kann dann zu einem Hallux valgus, einem Ballenzeh, führen. Dabei schiebt sich der Großzeh unter den zweiten und dritten Zeh oder er legt sich darüber. Das kann sehr schmerzhaft sein und den Fuß in seiner Beweglichkeit einschränken.

Ist es denn genauso problematisch, wenn die Schuhe zu weit sind?
Wietrzychowski: Wenn man dauerhaft zu weite Schuhe trägt, hat der Fuß keinen richtigen Halt. Er wird breiter. Die Folge kann dann ein Senkfuß, ein Spreizfuß oder eine Kombination dieser Fußfehlstellungen sein. Dabei sind das Längsgewölbe in der Mitte des Fußes und der Vorfußbereich abgeflacht. Dadurch entsteht eine größere Belastung, die zu Schmerzen und zu Entzündungen führen kann.

Wie kann ich mit einem Sicherheitsschuh gegensteuern, wenn ich eine Fußfehlstellung habe?
Wietrzychowski: Ich sollte mir einen guten Schuh aussuchen, der leicht ist, der flexibel ist und in dem man orthopädische Einlagen verwenden darf. Ob ich Einlagen brauche, entscheidet der Betriebsarzt oder ein Orthopäde.

Wenn ich in meinem Freizeitschuh schon eine orthopädische Einlage habe, kann ich die doch auch einfach für den Sicherheitsschuh verwenden, oder?
Wietrzychowski: Nein. Ich darf keine x-beliebige Einlage in den Schuh legen. Sie muss die EU-Baumusterprüfung bestanden haben und mit dem Schuh kompatibel sein. Wenn ich zum Beispiel einen leitfähigen ESD-Sicherheitsschuh habe und eine Ledersohle verwende, blockiere ich die Funktion. Arbeite ich damit an einem Stromkasten und bekomme eine elektrischen Schlag, kann der nicht durch den Körper abgeleitet werden. Das kann schlimme Folgen haben und im Schadensfall sogar dazu führen, dass der Versicherungsschutz erlischt. Deshalb dürfen nur Einlagen verwendet werden, die zusammen mit dem jeweiligen Sicherheitsschuh zertifiziert wurden.

Wie kann ein Schuh darüber hinaus zur Fußgesundheit beitragen?
Wietrzychowski: Bei Baak haben wir zusammen dem Biomechanik-Professor Gert-Peter Brüggeman das „Go&Relax“-System entwickelt und patentieren lassen. Die Laufsohle und die Schutzkappe sind so konzipiert, dass die Füße in ihrer natürlichen Form abknicken können. Außerdem haben wir einen Absatz – die „Balance Zone“ – hergestellt, der den Fuß ganz natürlich über die Außenseite der Ferse belastungsfrei nach vorne abrollen lässt.

Welche Rolle spielt die Dämpfung?
Wietrzychowski: Darüber gehen die Meinungen ausei­nander. Für die einen ist eine gute Dämpfung wichtig, für die anderen ist ein Schuh ohne Dämpfung der bessere. Insgesamt gilt: Je stärker ein Schuh gedämpft ist, desto weniger muss der Körper seine eigenen „Dämpfungsmaterialien“ – zum Beispiel in der Wirbelsäule oder in den Kniegelenken – aufbauen. Für mich persönlich ist ein Schuh mit wenig Dämpfung am besten. Seitdem ich Barfußschuhe trage, habe ich keine Probleme mehr mit Rückenschmerzen, weil der Körper selbst gefordert ist, sich auszutarieren.

Sie selbst waren auch bei der Entwicklung des Barfuß-Sicherheitsschuhs von Baak beteiligt.
Wietrzychowski: Wir haben fünf Jahre für die Entwicklung gebraucht, bis wir den Schuh auf den Markt bringen konnten. Wir haben die Sohle mit acht Millimetern so dünn wie möglich gemacht. Die Herausforderung war, dabei alle DIN-Normen zu erfüllen.

Was sind die Vorteile von Barfußschuhen?
Wietrzychowski: Die Fußmuskulatur ist durch die geringe Dämpfung viel aktiver. Das verhindert, dass sich Senk- und Spreizfüße entwickeln. Wer noch nie in Barfußschuhen gelaufen ist, sollte allerdings langsam damit anfangen und den Fuß daran gewöhnen. Ich will aber niemanden missionieren: Wer sich in einem gut gedämpften Schuh wohlfühlt, sollte einen solchen Schuh auch tragen. Außerdem hängt es vom Einsatzgebiet ab. Wer bei der Arbeit viel über Steine oder Schotter laufen muss, dessen Füße würden durch die dünne Sohle des Barfußschuhs zu stark beansprucht.

Was kann ich abgesehen vom Schuhwerk für die Gesundheit meiner Füße tun?
Wietrzychowski: Fußgymnastik ist für mich ein wichtiger Teil. Wir trainieren ja jedes Körperteil – nur die Füße nicht. Ich habe zu Hause vor dem Waschbecken eine Schüssel mit kleinen Kieselsteinen. Beim Zähneputzen trete ich dort mit nackten Füßen auf der Stelle. Das stärkt die Fußmuskulatur, fördert die Durchblutung. Ein effektives Training ohne große Anstrengung.

ZUR PERSON:

Orthopädieschuhtechniker Ingo ­Wietrzychowski bringt beim Straelener Sicherheitsschuhhersteller Baak sein Fachwissen zu Fragen der Anatomie und des gesünderen Laufens ein. Um den Kunden ein besseres Laufgefühl zu ermöglichen, setzt er seine Ideen gemeinsam mit dem Team der Entwicklungsabteilung in neue Projekte um.

Ingo Wietrzychowski war an der Entwicklung des Barfuß-Sicherheitsschuhs beteiligt, die fünf Jahre dauerte. Foto: Baak