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Arbeitsorganisation von Job Enrichment bis Homeoffice
Wie Menschen ihre Arbeit organisieren, unterlag im Lauf der Geschichte häufiger einem grundlegenden Wandel. Es gibt Anzeichen, dass es heute wieder soweit ist.
Vor etwas mehr als 100 Jahren revolutionierte es Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen: die Einführung des Fließbandes und die Teilung der Arbeit in kleinste Einheiten, um die Produktivität zu steigern. In der Automobilindustrie führte dies dazu, dass Henry Ford die Bauzeit seines „Modell T“ von 12,5 Stunden auf 1,5 Stunden verkürzen konnte. Ford verdoppelte die Löhne und senkte den Verkaufspreis, um den Absatz zu steigern, und machte das Auto so zum Massenprodukt.
Der Fordismus, der für hochstandardisierte Massenfertigung steht, wurde somit als Wohlstandsbringer für große Teile der Bevölkerung angesehen. Bald zeigten sich aber auch die Nachteile dieser Art der Arbeitsorganisation, die den Menschen lediglich als Produktionsfaktor sieht, den es optimal zu nutzen gilt. Die sich in kurzer Zeit wiederholenden Handgriffe führen auf Dauer jedoch zu einseitig physischen Belastungen und nachlassender Aufmerksamkeit.
Schon Anfang der 1920er-Jahre, also in jener Zeit, in der die Fließbandproduktion von immer mehr Industriezweigen übernommen wurde, entwickelten Arbeitspsychologen wie Willy Hellpach Konzepte, die vollständige Arbeitsabläufe statt losgelöster Arbeitsschritte forderten, also etwa das Zusammenschrauben einer kompletten Karosserie statt nur der Verbindung von Lenkrad und Steuersatz.
Es sollte allerdings noch rund 50 Jahre dauern, bis die Zeit für eine menschengerechtere Arbeitsgestaltung reif war. Eine, die nicht nur die Effizienz im Blick hat, sondern auch das Wohlbefinden und die persönliche Weiterentwicklung des Arbeitnehmers förderten. Ende der 1970er-Jahre kamen drei Methoden auf, um die Monotonie sich ständig wiederholender Arbeitsschritte aufzubrechen und die Arbeit in einen größeren Sinnzusammenhang zu stellen:
Arbeitswechsel (Job Rotation), Arbeitsausweitung (Job Enlargement) und Arbeitserweiterung (Job Enrichment).
WIE KANN MAN DEN HANDLUNGSSPIELRAUM BEI DER ARBEIT VERGRÖSSERN?
Dirk Marrenbach vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und Laura Geiger vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen erläutern die Methoden anhand eines Logistikzentrums so:
Bei Job Rotation wird zwischen verschiedenen Arbeitsplätzen mit gleichem Anforderungs- und Qualifikationsniveau gewechselt. Die Logistikmitarbeiter wechseln beispielsweise zwischen verschiedenen Kommissioniersystemen hin und her, wodurch Job Rotation zum Erhalt der erworbenen Qualifikation beiträgt und die Mitarbeiter einen größeren Einblick in den gesamten Wertschöpfungsprozess des Unternehmens und ihre Rolle darin bekommen.
Beim Job Enlargement wird der Zuständigkeitsbereich der Mitarbeiter durch weitere Aufgaben auf gleichem Qualifikationsniveau ausgeweitet, wodurch sich die Vielfalt der Tätigkeiten erhöht. Ein Logistikmitarbeiter übernimmt beispielsweise zusätzlich zu seinen operativen Tätigkeiten bei der Ein- und Auslagerung von Paletten auch Kommissioniertätigkeiten. Hierzu wird der Mitarbeiter nur eingewiesen.
Beim Job Enrichment wird die Zuständigkeit durch Aufgaben auf einem anderen – in der Regel höheren – Qualifikationsniveau angereichert, wozu eine Zusatzqualifizierung notwendig wird. In dem Logistik-Beispiel könnte das für einen Kommissionierer etwa die Prüfung von kommissionierten Aufträgen oder die Disposition von Aufträgen für ein Kommissioniersystem sein.
Laut Marrenbach und Geiger kann Job Enrichment dazu führen, dass durch die fachbezogene Weiterentwicklung eine größere Zugehörigkeit zum Produkt und zum Unternehmen entsteht. Ein weiterer Vorteil kann sein, dass weniger Koordination erforderlich wird, da breiter qualifizierte Mitarbeiter mehrere Schnittstellen im Arbeitsprozess abdecken können. Die Reorganisation von Arbeit sollte die Mitarbeiter allerdings nicht überlasten. „Arbeitserweiterungen und -ausweitungen können sonst schnell als Arbeitsverdichtung wahrgenommen werden“, so Marrenbach und Geiger.
Job Rotation, Job Enlargement und Job Enrichment sind überall dort anwendbar, wo die Tätigkeit nicht zu fachspezifisch wird. „Gerade bei einfachen Arbeiten sollte sich der Arbeitgeber fragen: Wie kann ich die Arbeit vollständiger machen und den Handlungsspielraum vergrößern?“, sagt Dr. Nils Backhaus, der sich bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) mit dem Wandel der Arbeit beschäftigt.
Eine zu hohe Arbeitsteilung kann zu Hilflosigkeit und Frustration führen, wie bei Callcentermitarbeitern, die immer nur den Ärger der Kunden abfangen und das Gespräch dann weitervermitteln, statt selbst zur Problemlösung beizutragen. Davon berichtet eine Seelsorgerin, zu der häufig Menschen kommen, die mit dem Sinn ihrer Arbeit hadern. „Auf Dauer führt das in die Resignation. Jeder Mitarbeiter muss das Gefühl haben, etwas zu bewirken“, sagt sie.
Darum, Handlungsspielräume zu vergrößern und die Arbeit besser an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen, geht es auch bei dem großen Thema orts- und zeitflexibles Arbeiten, das durch den Corona-Lockdown großen Aufwind erfahren hat. Während Homeoffice-Tage im von Präsenzkultur geprägten Deutschland von vielen Chefs eher skeptisch beäugt wurden, hatten Firmen, die ihre Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten lassen konnten, also zum Beispiel in den Wirtschaftsbereichen Information, Kommunikation oder Wissenschaft, einen großen Vorteil gegenüber Branchen, die dafür eher ungeeignet sind.
VIELE UNTERNEHMEN MACHTEN GUTE ERFAHRUNGEN MIT DEM HOMEOFFICE.
Durch die Möglichkeit zum Homeoffice konnte die Ansteckungsgefahr deutlich verringert werden. Außerdem mussten Arbeitgeber mit Homeoffice-Option deutlich seltener Kurzarbeit anmelden als etwa Unternehmen des produzierenden Gewerbes oder konsumnahe Dienstleister wie Gastronomen oder Friseure. Als systemrelevant eingestufte Unternehmen mussten dagegen in Kauf nehmen, dass sich Mitarbeiter bei der Arbeit mit Covid-19 anstecken.
Durch die überraschend guten Erfahrungen, die viele Unternehmen durch Corona mit Homeoffice machten, erhöhte sich bei vielen Chefs die Bereitschaft, Mitarbeiter auch künftig tageweise von zu Hause arbeiten zu lassen. Doch ist Homeoffice wirklich ein Mittel, um die Zufriedenheit mit der Arbeit zu erhöhen?
Für Heiko Krämer, einen jungen Vater Anfang 40, der in einer IT-Firma arbeitet, überwiegen die Vorteile. „Für die meisten Meetings sind Videokonferenzen vollkommen ausreichend, und wenn man doch mal zu zweit auf einen Monitor schauen muss, teilt man den über ein Programm, sodass beide die Maus bewegen können“, sagt er.
Krämer schätzt, dass er zu Hause effektiver arbeitet, weil er weniger abgelenkt wird und trotzdem alles hat, was er zum Arbeiten braucht: eine schnelle Internetverbindung, einen guten Monitor und einen ergonomischen Schreibtischstuhl. Wenn ihn Geräusche in der Wohnung ablenken, setze er Noise-Cancelling-Kopfhörer auf.
Insgesamt arbeite er etwas mehr, seit er im Homeoffice ist, da die kleinen Pausen wegfielen, bei denen man mit Kollegen am Kaffeeautomaten quatscht. „Zu Hause will ich abends auch oft noch etwas fertig machen und arbeite dann eine Viertelstunde länger. Im Büro würde ich denken: Nee, mein Bus kommt gleich.“ Für ihn fallen durch Homeoffice 2,5 Stunden Fahrzeit pro Tag weg. Zeit, die er mit seinem Sohn verbringen kann. Allerdings sei der Weg auch eine Möglichkeit, abzuschalten. „Der Luftholmoment fehlt im Homeoffice ein bisschen“, gibt er zu.
Er hofft, dass die Möglichkeit, im Homeoffice arbeiten zu können, ausgebaut wird. Früher habe man in seiner Firma nur ausnahmsweise von zu Hause arbeiten dürfen, wenn ein Handwerker- oder Arzttermin anstand. „Aber man musste es immer begründen. Ich denke, in Zukunft wird das nicht mehr nötig sein.“
Wie eine Auswertung der BAuA von knapp 50 Einzelstudien zeigt, halten sich die Vor- und Nachteile von Homeoffice unter bestimmten Voraussetzungen in etwa die Waage. Positiv wirke sich eine Homeoffice-Option auf das Autonomieempfinden der Beschäftigten aus. Das erhöhe sowohl die Arbeitszufriedenheit als auch die Leistung von Beschäftigten und verringere das Risiko von Work-Family-Konflikten und den Wunsch, den Arbeitsplatz zu wechseln. Allerdings kann Homeoffice auch dazu führen, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen.
Nach Auswertungen der Daten von 8.767 abhängig Beschäftigten, die an der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2017 teilnahmen, machten Beschäftigte im Homeoffice häufiger Überstunden und hielten öfter die gesetzlichen Mindestruhezeiten von elf Stunden zwischen Arbeitsende und dem nächsten Arbeitsbeginn nicht ein. Zudem wurden Beschäftigte mit mehr als einem vereinbarten Homeoffice-Tag pro Woche und Beschäftigte, die ohne Vereinbarung von zu Hause arbeiten, häufiger im Privatleben kontaktiert. „Mitarbeiter im Homeoffice verspüren oft einen höheren Leistungsdruck. Sie sagen sich: Bloß keinen Anruf verpassen und auch außerhalb der Arbeitszeiten auf E-Mails antworten, um nicht den Eindruck zu erwecken, zu wenig zu tun“, sagt Nils Backhaus.
Die Befragung zeigt, dass Arbeitnehmer mit einer betrieblichen Vereinbarung zum Homeoffice zufriedener sind als jene, die ohne Vereinbarung im Homeoffice arbeiten. Bei ersteren halten sich die Vorteile, wie selbstbestimmte Arbeitszeiten oder soziale Unterstützung durch Kollegen, und Belastungen, zum Beispiel durch Überstunden oder ständige Erreichbarkeit, die Waage. Diese Gruppe machte allerdings nur zwölf Prozent der Befragten aus. Knapp ein Drittel der befragten Beschäftigten arbeitet zumindest gelegentlich ohne betriebliche Vereinbarung von zu Hause. Bei dieser Gruppe überwiegen die belastenden Arbeitsanforderungen, was häufig auch mit einer geringeren Zufriedenheit mit der Work-Life-Balance einhergeht.
„Ob Homeoffice gut oder schlecht bewertet wird, kommt natürlich auch auf die Umstände an, unter denen gearbeitet wird“, sagt Nils Backhaus. Nicht jeder komme mit der Isolation gut zurecht oder mit der Herausforderung, sich selbst zu organisieren. Für andere sei die freiere Zeiteinteilung dagegen ein Grund für mehr Zufriedenheit im Job.
Damit Homeoffice nicht zu einer Belastung wird, sollten dazu allgemeingültige Vereinbarungen getroffen werden, die sich an den Arbeitsschutzregeln orientieren. Dazu gehöre auch ein angemessener Arbeitsplatz. „Der Mitarbeiter sollte nicht am Schreibtisch seiner Tochter arbeiten müssen“, sagt Backhaus. „Wenn kein eigenes Arbeitszimmer zur Verfügung steht, sollte der Arbeitsplatz nach Feierabend möglichst abgebaut werden, damit Arbeitsleben und Privatleben nicht ineinanderfließen.“
Erschienen in PRÄVENTION AKTUELL 5/2020.