LÄRM + LÄRM = STILLE

Klingt zunächst widersinnig, aber Schall kann mit Schall bekämpft werden. Dahinter steckt ein einfaches physikalisches Phänomen. Doch die Schwierigkeiten liegen im Detail.

Der Fahrer eines Luxusautos hat meist hohe Ansprüche an sein Fahrzeug. Ist er auch noch Musikliebhaber, wird er fordern, dass er nur das Orchester hört und sonst nichts. Keinen Motor, keine Wind- und Abrollgeräusche, nichts. Audi beispielsweise bietet für sein Spitzenmodell eine „dynamische Fahrgeräuschkompensation“ an, die mit Mikrofonen, Lautsprechern und Steuerelektronik arbeitet und für Ruhe sorgen soll. Wie funktioniert so ein System?

Abbildung destruktive Interferenz
Destruktive Interferenz. Abbildung: Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF

JE SCHNELLER DIE WELLE SCHWINGT,
DESTO HÖHER IST DER TON.

Schall breitet sich in Wellenform aus als sogenannte Longitudinalwelle, das Trägermedium ist die Luft. Was wir hören, setzt sich aus zwei Komponenten zusammen, dem Schalldruck (vereinfacht der Lautstärke) und der Frequenz (vereinfacht der Tonhöhe). Je schneller die Welle schwingt, desto höher ist der Ton. Der bekannte Kammerton in der Musik beispielsweise schwingt 440 Mal in der Sekunde hin und her und hat daher 440 Hertz. Schall lässt sich als sinusförmige Welle grafisch darstellen (siehe Abbildung 1). Wenn wir jetzt mittels eines Instruments den Kammerton spielen, so schwingt die Welle mit 440 Hertz und einem bestimmten Schalldruck, beides zusammen ergibt die Amplitude (y-Achse).Dann erzeugen wir eine weitere Welle mit exakt der gleichen Amplitude, aber zeitlich versetzt, sodass die Wellenberge und -täler beider Wellen sich treffen. Das Resultat ist eine „destruktive Interferenz“. So nennen Physiker das Phänomen, dass die Addition beider Wellen 0 ergibt. In unserem Fall hören wir nichts mehr, obwohl beide Geräuschquellen noch vorhanden sind. Je tiefer der Ton, je langsamer die Welle also schwingt, desto leichter lässt sich eine Gegenwelle erzeugen. Im oben genannten Audi sorgen daher die Basslautsprecher für den Antischall.

Das Prinzip der aktiven Lärmkompensation (Active Noise Cancellation – ANC) ist seit Langem bekannt, die praktische Anwendung ist dagegen schwierig. Immer wieder wurde in den vergangenen 15 Jahren zwar von angeblichen Durchbrüchen berichtet, im Alltag angekommen ist – bis auf einige Ausnahmen – davon wenig. So betitelte beispielsweise die Website www.ingenieur.de noch im Juli 2016 einen Artikel mit „Flug- und Bahnlärm ade: Versteckter Lautsprecher im Fensterrahmen sorgt für Ruhe“. Der Beitrag berichtete von einem Projekt des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit (LBF) in Darmstadt. Die Forscher dort entwickelten einen Lautsprecher mit integriertem Schallsensor, der zwischen die Scheiben eines Doppelglasfensters eingebaut wird. Der Schallsensor ermittelt die Frequenz eines Geräuschs, um unverzüglich die Gegenfrequenz zu erzeugen.

Versucht man jedoch, ein solches System käuflich zu erwerben, wird man nicht fündig. Es ist nicht auf dem Markt, es kam über die Prototypenphase nicht hinaus, es hat sich bis heute kein Hersteller gefunden, der das Produkt in sein Portfolio aufgenommen hätte. Das gilt auch für andere Anwendungen wie beispielsweise aktive Abgasschalldämpfer für Kraftfahrzeuge. ANC-Lösungen sind hochkomplex, sehr teuer und benötigen in der Regel zusätzliche Energie. Passive Systeme wie Dämmplatten erzielen mit weniger Aufwand und Kosten oft ähnliche Ergebnisse. Bis auf wenige Ausnahmen ist ANC Stand heute kaum verbreitet.

Ein Schallsensor im Fenster ermittelt die Frequenz eines Geräuschs, um unverzüglich die Gegenfrequenz zu erzeugen.
Ein Schallsensor im Fenster ermittelt
die Frequenz eines Geräuschs,
um unverzüglich die Gegenfrequenz
zu erzeugen. Foto: Erik Svoboda/shutterstock.com

Die große Ausnahme sind Kopfhörer. Hier gibt es ein breites ANC-Angebot. Das kleine Volumen innerhalb der Hörmuschel lässt sich besser steuern. Außen auf den Hörmuscheln befinden sich Mikrofone, die den Umgebungsschall nach innen leiten. Dort erzeugt eine Elektronik den Gegenschall. Allerdings ist auch bei den Kopfhörern das Ergebnis zwiespältig. Zwar werden die Geräte kontinuierlich besser, aber gleichzeitig ist ein guter Kapselgehörschutz im Arbeitsumfeld oft die bessere Lösung für den Schutz vor Lärm, weil er günstiger und mindestens genauso wirksam ist. Aktive Lärmkompensation ist also durchaus ein Konzept mit Zukunft, aber mit den heute verfügbaren Technologien und wegen der hohen Preise noch auf Nischen beschränkt.

Text: Franz Roiderer