- Titelthema
- Editorial
- Kurz & Knapp
- Praxis
- Produkte & Märkte
- Unterhaltung
- Vorschau
Die Prioritäten haben sich geändert
In einer Studie wurden mehr als 20 Vorstandsvorsitzende großer deutscher Unternehmen nach ihren Nachhaltigkeitszielen befragt, darunter die CEOs der Mercedes-Benz Group, der Deutschen Bank, der Telekom und von BASF. Demnach ist für neun von zehn Top-Führungskräften das Thema Nachhaltigkeit in den kommenden fünf Jahren mindestens genauso wichtig wie die Digitalisierung.
Vor der deutschen Wirtschaft liegt der wohl größte Umbau seit Jahrzehnten. Innerhalb kurzer Zeit soll sie ihre CO2-Emissionen auf null herunterfahren. Nach und nach werden auch die rechtlichen Rahmenbedingungen erkennbar, denen die Unternehmen künftig unterliegen. So gibt es beispielsweise seit Januar 2021 in Deutschland eine CO2-Steuer. Kostete eine Tonne CO2 bei Einführung der Steuer 25 Euro, so sind es 2022 bereits 30 Euro und 2025 werden es 55 Euro sein. Doch Nachhaltigkeit bedeutet noch mehr als Treibhausgasemissionen. Es geht auch um den Erhalt der Biodiversität und der natürlichen Ressourcen und um eine stärkere Berücksichtigung sozialer Faktoren.
Vor der deutschen Wirtschaft liegt der wohl größte Umbau seit Jahrzehnten
Das Institut FUTURIST aus Berlin, das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sowie Bain & Company Deutschland, haben für ihre Studie „Von Haltung zu Handlung – Wie Deutschlands CEOs ihre Unternehmen auf Nachhaltigkeitskurs bringen“ die Einstellung der Topmanager zum Thema Nachhaltigkeit untersucht.
Zunächst schält sich laut der Studie branchen- und unternehmensübergreifend ein gemeinsames Selbstverständnis heraus. Die Wirtschaft sieht sich als wichtiger und aktiver Teil der Gesellschaft und will „Verantwortung übernehmen“ sowie „einen Beitrag leisten“. Aus diesem Selbstverständnis heraus leiten Unternehmen unterschiedliche Ambitionen ab, die sie zum Teil zeitlich gestaffelt und parallel verfolgen: Zu Beginn stehen zumeist das Überleben und das Absichern des bisherigen Erfolgs. Darauf aufbauend wollen sie Nachhaltigkeit auch bei Dritten ermöglichen.
„Wir müssen beim Thema Nachhaltigkeit Verantwortung übernehmen und wir wollen liefern.“ – Rolf Buch, Vorstandsvorsitzender von Vonovia
ÜBERLEBEN
„Wir müssen beim Thema Nachhaltigkeit Verantwortung übernehmen und wir wollen liefern. Wir wollen unsere licence to operate nicht verlieren“, meint Rolf Buch, CEO des größten deutschen Wohnungsbaukonzerns Vonovia. James Bond hat eine „licence to kill“, Unternehmen benötigen demnach eine „licence to operate“. Damit wird im Wirtschaftsjargon die gesellschaftliche Akzeptanz von Unternehmen bezeichnet. Diese basiert auf der Wahrnehmung der Gesellschaft und lässt sich damit nicht formal erwerben. Im Zuge der ansteigenden Kritik an Unternehmen und ihrer Wertschöpfung gewinnt die Frage nach ihrer Akzeptanz zunehmend an Relevanz. Eine fehlende licence to operate erschwert die Wertschöpfung des Unternehmens oder unterbindet sie sogar.
„Es gibt ein race to zero“, sagt auch der BASF-Vorstandsvorsitzende Martin Brudermüller. „Wer nicht ein klares Datum nennt, bis wann er klimaneutral wirtschaftet, wird – zugespitzt formuliert – an die Wand genagelt.“
James Bond hat eine „licence to kill“, Unternehmen benötigen eine „licence to operate“
ABSICHERN
Eng verknüpft mit dem „Überlebens“-Gedanken ist die zweite Ambition: das Absichern des bisherigen wirtschaftlichen Erfolgs. Wer bei Nachhaltigkeit überzeugt, so der Tenor, wird nicht nur überleben, sondern als Unternehmen weiterhin erfolgreich sein. Judith Wiese, Vorstandsmitglied von Siemens, dazu: „Wir bei Siemens denken, dass Nachhaltigkeit einer der wesentlichen Wachstumstreiber der Zukunft ist. Politische, gesellschaftliche wie wirtschaftliche Anreize zur Reduzierung von Emissionen sowie die notwendige Modernisierung bestehender Infrastrukturen schaffen neue Märkte und Kunden, die bereit sind, in die Zukunft zu investieren.“
Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz sieht das ganz ähnlich: „Wir wollen die Roadmap zur Nachhaltigkeit so gestalten, dass wir sowohl die Nachhaltigkeitsziele als auch das wirtschaftliche Optimum und damit eine Stakeholder-Balance für unser Unternehmen erreichen. Dazu gehört neben dem Umweltschutz auch ein nachhaltiger Profit genauso wie die Beschäftigung von Menschen.“
ERMÖGLICHEN
Das Nachhaltigkeitsengagement vieler Unternehmen endet nicht an der eigenen Haustür. Sie versichern, ihren Beitrag leisten und über ihre Unternehmensgrenzen hinaus die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft unterstützen zu wollen. Der Blick richtet sich dabei meist auf die eigene Kundschaft. „Wir wollen Nachhaltigkeit bezahlbar machen. Derzeit liegt der Anteil an Bio-Produkten in Deutschland unter sechs Prozent. Wir müssen dafür sorgen, dass der Kauf dieser Produkte für unsere Kunden selbstverständlich wird. Unser Ziel ist es, in jeder Produktgruppe eine bezahlbare nachhaltige Alternative anzubieten,“ so Frank Schumann, Chef des Lebensmitteleinzelhändlers Kaufland.
Christian Sewing von der Deutschen Bank zum Thema „Ermöglichen“: „Als Finanzinstitut haben wir eine elementare Funktion, um das Thema Nachhaltigkeit voranzutreiben. Der Beratungsbedarf ist enorm. Bei jedem Termin mit einem DAX-, MDAX- oder Familienunternehmen kommt mittlerweile das Thema Nachhaltigkeit zur Sprache, verbunden mit der Frage, wie wir dem Unternehmen helfen können – im Sinne von Beratung, aber auch als Finanzierer der Transformation.“
„Als Finanzinstitut haben wir eine elementare Funktion, um das Thema Nachhaltigkeit voranzutreiben.“ – Christian Sewing, CEO der Deutschen Bank
VORANGEHEN
Selbst zu den Vorreitern beim Thema Nachhaltigkeit zu gehören, ist für viele Unternehmen ebenfalls ein zentrales Ziel. Zum einen wollen sie selbst nachhaltiger wirtschaften, zum anderen mit ihren nachhaltigen Lösungen am Markt überzeugen. „Wir wollen uns an die Spitze der Bewegung stellen“, erklärt Berthold Huber, Vorstand für Personenverkehr bei der Deutschen Bahn. „Die Bahn lebt davon, dass sie nachhaltig ist. Wir sind das umweltfreundlichste Transportunternehmen, und das wollen wir weiterhin bleiben.“ Ganz konkret auf Produktebene bricht es Henkel-Aufsichtsratschefin Simone Bagel-Trah herunter: „Ein neues Produkt muss immer besser und nachhaltiger sein als das alte. Unsere Experten analysieren, wo man entlang der Wertschöpfungskette und unseren Fokusfeldern welche Verbesserungen erzielt und welchen Impact das hat.“
„Wer nicht ein klares Datum nennt, bis wann er klimaneutral wirtschaftet, wird – zugespitzt formuliert – an die Wand genagelt.“ – Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender der BASF
DIE ZEITEN VON GREENWASHING SIND VORBEI
Die CEOs weisen auch Greenwashing von sich, also den Versuch, sich trotz fehlender Grundlage ein umweltfreundliches Image zu geben. „Wir betreiben kein Greenwashing, sondern gehen die einzelnen Themen ernsthaft an“, sagt Constantin Alsheimer, CEO des Energieversorgers Mainova. Einige regionale Wettbewerber hätten schnell ihre fossilen Kraftwerke verkauft oder Vertriebstöchter gegründet, die sie sich dann als nachhaltig zertifizieren ließen. Alsheimer grenzt sich davon ab: „Nachhaltigkeit ist fester Bestandteil unserer Unternehmensstrategie und entspricht unserer inneren Überzeugung.“
„Die Zeiten für Greenwashing sind vorbei, und das ist auch gut so“, ist Alexander Birken, CEO der Otto Group, überzeugt. „Die zunehmende Transparenz unter anderem durch Social Media deckt Schönfärberei früher oder später sowieso auf.“
KLIMANEUTRALITÄT GANZ KLAR DIE NUMMER EINS
Sämtliche an der Studie teilnehmenden Unternehmen verfolgen explizit das Ziel, ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltiger zu werden. Im Durchschnitt nennen sie in ihren Nachhaltigkeitsberichten acht Ziele. Eines davon ragt heraus: die Klimaneutralität. Dahinter reihen sich ganz unterschiedliche Themen ein – von Diversität bis Ressourceneffizienz, von Arbeitssicherheit bis zum sparsamen Umgang mit Wasser.
Über ihre bisherigen Aufgaben hinaus sehen sich Deutschlands CEOs nun auch als Treiber und Kommunikatoren auf dem Weg hin zu mehr Nachhaltigkeit. Die bisherigen Erfolge bei der Transformation sehen sie durchaus selbstkritisch. Mit dem bisher Erreichten sind sie nicht wirklich zufrieden und sehen noch viel Luft nach oben.
Die komplette Studie findet sich auf der Internetseite von Bain & Company.