Warum interkulturelle Kompetenz ein Sicherheitsfaktor ist

Die Folgen für den Arbeitsschutz

In vielen Unternehmen treffen kulturell vielfältige Teams auf komplexe Sicherheitsanforderungen. Werden Unterweisungen nicht richtig verstanden oder missinterpretiert, steigt das Unfallrisiko. Kultursensible Unterweisungen sind daher der Schlüssel für wirksamen Arbeitsschutz.

Text: Franz Roiderer (Redaktion)

AUF DEN PUNKT:

  • Kultursensible Unterweisungen erhöhen die Wirksamkeit von Arbeitsschutzmaßnahmen
  • Interkulturelle Kompetenz ist kein „Soft Skill“, sondern ein zentraler Erfolgsfaktor für Sicherheit, Verständigung und Prävention
  • Rechtssicherheit entsteht durch gelebtes Verständnis – sprachlich, kulturell und menschlich

Sicherheit braucht Verstehen: Ein Fall aus der Praxis

Auf einem Industriegelände in Nordrhein-Westfalen soll ein Team aus vier Beschäftigten ein tonnenschweres Bauteil mit dem Hallenkran umsetzen. Der Teamleiter gibt kurze Anweisungen, ein Kollege aus Rumänien nickt knapp – und steht Sekunden später gefährlich nah unter der schwebenden Last. Der Einsatz wird abgebrochen, niemand wird verletzt, doch es bleiben Fragen: Warum hat der Kollege die Gefahrenzone nicht verlassen? Warum hat niemand eingegriffen?

Im Nachgang wird klar: Der Kollege hatte zwar an der Kranunterweisung teilgenommen, aber viele Fachbegriffe wie „Schwenkbereich“ oder „Anschlagmittel“ nur oberflächlich verstanden. Aus Respekt vor der Hierarchie und aus Angst, sein Ansehen zu verlieren, stellte er keine Rückfragen. Ein Vorfall, der vermeidbar gewesen wäre – und der zeigt: Sicherheit entsteht durch Verstehen, nicht allein durch Belehrung.

Arbeitsschutz im kulturellen Spannungsfeld

Die deutsche Arbeitswelt ist international: Im Jahr 2024 hatte etwa ein knappes Viertel aller Erwerbstätigen in Deutschland eine Migrationsgeschichte. In Branchen wie Bau, Logistik, Pflege oder Lebensmittelproduktion ist der Anteil noch höher. Damit wächst die Herausforderung, Sicherheitswissen wirksam zu vermitteln. Denn Unterweisungen entfalten nur dann Wirkung, wenn sie wirklich verstanden, akzeptiert und angewendet werden.

Sprachbarrieren sind dabei nur ein Aspekt. Auch kulturelle Prägungen spielen eine Rolle: Was in einem Land als gefährlich gilt, wird anderswo als normal empfunden. Hierarchieverständnis, Umgang mit Autoritäten, Kommunikationsstile oder der Umgang mit Regeln – all das beeinflusst, wie Menschen auf Sicherheitsanweisungen reagieren.

Interkulturelle Kompetenz als Teil wirksamer Unterweisungen

Arbeitsschutzunterweisungen müssen sich an den Bedürfnissen ihrer Zielgruppen orientieren. Das bedeutet nicht, jedes Mal ein aufwendiges Schulungsprogramm zu entwickeln – wohl aber, mit Aufmerksamkeit, Empathie und interkultureller Kompetenz vorzugehen. Diese ist keine abstrakte Fähigkeit, sondern eine konkrete Voraussetzung für wirksame Prävention

Was hilft konkret?

  • Einfache Sprache statt Fachjargon:
    Sicherheitsrelevante Inhalte sollten klar und verständlich vermittelt werden – idealerweise in der Muttersprache der Beschäftigten oder mit qualifizierten Dolmetschern. Kurze Sätze, anschauliche Beispiele und visuelle Hilfsmittel wie Piktogramme oder Videos vermeiden Missverständnisse.
  • Raum für Rückfragen schaffen:
    Wer aus kulturellen Gründen zurückhaltend ist, stellt in großen Gruppen selten Fragen. Kleine Unterweisungseinheiten oder Gespräche im Tandem ermöglichen gezielte Nachfragen und fördern eine offene Fehler- und Feedbackkultur.
  • Multiplikatoren einbeziehen:
    Mitarbeiter mit interkultureller Erfahrung oder aus der gleichen Herkunftsgruppe können als Sprach- und Kulturvermittler agieren. Sie schaffen Vertrauen und erleichtern die Akzeptanz von Arbeitsschutzthemen im Team.
  • Körpersprache und Kontext beachten:
    Nonverbale Signale wie Augenkontakt, Nicken oder Schweigen werden kulturell unterschiedlich interpretiert. Wer diese Unterschiede kennt, kann Kommunikationsbrüche frühzeitig erkennen und Missverständnisse vermeiden.
  • Unterweisende gezielt schulen:
    Sicherheitsbeauftragte und Führungskräfte profitieren von Fortbildungen zur kultursensiblen Kommunikation. Wer weiß, wie kulturelle Unterschiede die Wahrnehmung von Gefahren oder die Reaktion auf Regeln beeinflussen, kann gezielter und wirksamer unterweisen.

Zwischen Rechtsvorgabe und betrieblicher Realität

Rechtlich ist die Lage klar: Das Arbeitsschutzgesetz (§ 12 ArbSchG) verpflichtet Arbeitgeber, ihre Beschäftigten ausreichend und verständlich zu unterweisen – insbesondere beim Arbeitsantritt, bei Aufgabenwechsel oder nach besonderen Vorkommnissen. Auch die DGUV Vorschrift 1 betont die Verantwortung des Arbeitgebers für wirksame Unterweisungen. Doch „verständlich“ heißt mehr als nur Übersetzung. Inhalte müssen so vermittelt werden, dass sie bei der Zielgruppe ankommen – sprachlich, kognitiv und kulturell. Andernfalls entsteht nur formale Rechtssicherheit, aber keine echte Prävention.

Betriebe, die kultursensible Unterweisungen ernst nehmen, können so profitieren: Sie senken Unfallrisiken und stärken das Zugehörigkeitsgefühl internationaler Teams. Das wirkt sich positiv auf Motivation, Bindung und Betriebsklima aus – und damit auf das gesamte Sicherheitsniveau.

Fazit: Sicherheit ist mehrsprachig – und empathisch

Kultursensible Unterweisungen sind keine Sondermaßnahme für „schwierige Fälle“, sondern eine konsequente Antwort auf die Realität vielfältiger Belegschaften. Wer Arbeitsschutz auf Augenhöhe vermitteln will, muss gewohnte Formate hinterfragen und interkulturelle Perspektiven mitdenken. Wo Menschen sich verstanden fühlen, übernehmen sie eher Verantwortung – und das ist die Grundlage einer nachhaltigen Sicherheitskultur.ö