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Die neue ASR A5.1
Was Unternehmen jetzt tun müssen

KI-generierts Foto: john – stock.adobe.com
Welche Maßnahmen müssen Unternehmen ergreifen, deren Beschäftigte bei der Arbeit im Freien Wind und Wetter ausgesetzt sind? In der Technischen Regel für Arbeitsstätten (ASR) A5.1, die im August 2025 in Kraft getreten ist, wird das festgelegt.
Text: Donato Muro
AUF DEN PUNKT:
- Vermutungswirkung: Wer die ASR A5.1 umsetzt, erfüllt in diesem Punkt seine gesetzliche Arbeitsschutzpflicht
- Regel legt klare Parameter fest, zum Beispiel durch Schwellenwerte und dokumentierte Stop-Regeln
- ASTA-Ergänzungen zu Hitze und Kälte machen Entscheidungen alltagstauglich
Die ASR A5.1 regelt Arbeit im Freien und in nicht allseits umschlossenen Bereichen – dazu zählen zum Beispiel freistehende Überdachungen oder auch Abhollager, deren Tore für die Durchfahrt ständig geöffnet sind. Kurz gesagt: alle Arbeitsbereiche, an denen Wind, Niederschlag, Sonne oder Gewitter auf die Beschäftigten einwirken. Die neue Regel konkretisiert die Arbeitsstättenverordnung und bietet die sogenannte Vermutungswirkung: Setzt ein Betrieb die Anforderungen der ASR wie beschrieben um, kann er davon ausgehen, die Verordnung zu erfüllen. Wer den Herausforderungen im Einzelfall anders begegnet, muss nachweislich dasselbe Schutzniveau erreichen. Genau darin liegt der Wert der Regel: Aus diffusem „Wettergefühl“ werden klare, prüfbare Entscheidungen.
Die Regel grenzt auch ab: Landwirtschaftliche Flächen außerhalb der bebauten Betriebsfläche sind nicht erfasst, ebenso Ozon, Allergene und infektiologische Risiken. Für die Praxis zählen vier Wetter‑Gefährdungen: natürliche UV-Strahlung, Niederschlag, Windkräfte sowie Gewitter/Blitzschlag. Hitze und Kälte bewertet man ergänzend über die aktuellen ASTA-Empfehlungen. Sie hat zwar keine Vermutungswirkung, ist aber Stand der gesicherten Arbeitswissenschaft. Wer so vorgeht, spart Zeit, reduziert Unfälle – und bleibt revisionssicher.
Was sich für Arbeitgeber wirklich ändert
Der erste Unterschied für Arbeitgeber ist methodischer Art: Gefährdungen werden nicht mehr „gefühlt“, sondern nach einheitlichen Maßstäben bewertet und schriftlich begründet:
- Für UV-Strahlung ist der UV-Index (UVI) mit definierten Schwellenwerten maßgebend.
- Niederschlag wird qualitativ in A/B/C eingestuft.
- Wind richtet sich nach der Beaufort-Skala (von 0 bis 12) und wird zusätzlich in Intensität I/II/III übersetzt, um klarere Maßnahmen ableiten zu können.
- Gewitter beurteilt man optisch-akustisch (Zeit zwischen Blitz und Donner) oder mit Feldstärkemessung.
Diese Maßstäbe sind einfach genug für die Entscheidung der Schichtleitung und robust genug fürs Audit.
Der zweite Unterschied betrifft die Organisation: „Einrichten“ (Technik) und „Betreiben“ (tägliche Steuerung) werden sauber getrennt. Beim Einrichten plant man Verschattung, Entwässerung, Windschutz und sichere Orte für Gewitter. Im Betrieb treffen die Arbeitsschützer Entscheidungen tagesaktuell anhand der Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) beziehungsweise des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) und beziehen die Lage vor Ort mit ein. Dabei gilt das TOP-Prinzip: technische vor organisatorischen vorpersonenbezogenen Maßnahmen.
Der dritte Unterschied ist kommunikativ: Schwellen und Stop-Regeln sind vorab vereinbart. Nach Unterweisungen wird praxisnah dokumentiert: Wer informiert wen? Wohin weichen wir aus? Wann wird die Arbeit wieder freigegeben? Das macht die Lage beherrschbar, auch wenn die Wetter-App danebenliegt – denn die örtliche Beurteilung hat Vorrang.
Die vier Gefährdungsbereiche – in verständlicher Sprache
UV-Strahlung: Bewertet wird über den UV-Index (UVI) – je höher der Wert, desto größer das Sonnenbrand- und Langzeitrisiko. Ab UVI 3 starten Schutzmaßnahmen (Verschattung, zeitliche Verlagerung), ab UVI 8 sind personenbezogene Maßnahmen wie geeignete Kleidung, Kopfbedeckung, Schutzbrille und Sonnenschutzmittel zwingend und nicht mehr nur empfohlen. Reflexionen an Schnee, Wasser, Metall erhöhen die Dosis – das gehört in die Gefährdungsbeurteilung.
Niederschlag: Die ASR A5.1 unterscheidet A (gewöhnlich), B (potenziell gefährdend) und C (sehr bis extrem gefährlich). DWD-Warnstufen sind eine Orientierung, ersetzt wird die örtliche Beobachtung dadurch nicht. Systematisch zu betrachten sind Rutschgefahr, Sichtverlust und mechanische Einwirkungen (zum Beispiel Dachlawinen, Eiszapfen). Bei C wird draußen pausiert, wenn sich die Lage nicht sicher beherrschen lässt.
Windkräfte: Die Beaufort-Skala beschreibt Windstärken anschaulich („Zweige schwanken“, „Schirme kaum haltbar“) und bildet die Basis für die Einstufung in Intensität I/II/III. Mit steigender Intensität werden Tätigkeiten erst erschwert, dann eingeschränkt und schließlich eingestellt. Neben dem direkten Druck wirken Partikel (Staub, Sand) und Signalüberdeckung: Bei Sturm hört niemand mehr Warnrufe – dann braucht es visuelle oder Funk‑Signale. Herstellergrenzen (zum Beispiel Kran, Bühne) sind einzuhalten.
Gewitter und Blitzschlag: Liegt der Abstand von Blitz und Donner bei unter zehn Sekunden (entspricht etwa 3,4 Kilometer), gilt die Gefahr als sehr hoch – die Arbeit wird sofort unterbrochen, sichere Orte werden aufgesucht. Sicher sind Gebäude mit äußerem und innerem Blitzschutz oder geschlossene Metallkabinen (Fahrzeuge). Die Wiederaufnahme erfolgt frühestens 30 Minuten nach dem letzten Donner – unabhängig davon, ob der Regen schon weg ist. Alternativ kann eine Feldstärkemessung die Annäherung des Gewitters anzeigen.
Fertige GBU-Vorlagen für Abonnenten
Als Abonnent von „Prävention Aktuell“ erhalten Sie vier Vorlagen, die Sie auf Basis der ASR A5.1 als Grundlage für Ihre Gefährdungsbeurteilung verwenden können. Sicherheitsingenieur Donato Muro hat die Muster für UV-Strahlung, Niederschlag, Wind und Gewitter angefertigt und arbeitet in Betrieben selbst mit diesen Vorlagen. Sie enthalten Schwellenwerte, Stop-Regeln sowie eine Muster-Unterweisung mit Notfallkarten‑Texten. Hier gelangen Sie zu den GBU-Vorlagen.
Neu 2025: Hitze und Kälte präzise per ASTA
Die neuen Empfehlungen des Ausschusses für Arbeitsstätten (ASTA) liefern zwei praktische Vereinfachungen. Sie haben keine Vermutungswirkung, gelten aber als Stand gesicherter Erkenntnisse und passen somit in die Gefährdungsbeurteilung (GBU).
Hitze: Entscheidende Größe ist die Beurteilungstemperatur (BT). Gemessen wird im Schatten, repräsentativ und mit ± 0,5 Grad Celsius Genauigkeit. Über 26 Grad addiert man Korrekturwerte für Arbeitsschwere (z. B. +2 °C bei mittel, +4 °C bei schwer), Bekleidung beziehungsweise PSA (bis +4 °C), Sonne (bis +5 °C), Schwüle (+3 °C bei überschrittener Kombination aus Temperatur/relative Feuchte(rF)) und zieht gegebenenfalls Wind ab (–2/–3 °C).
Aus der BT folgen klare Handlungen: bis 26 Grad Celsius beobachten. Bei 26 bis 30 Grad Celsius sollen bei 30 bis 35 Grad Celsius müssen Maßnahmen erfolgen. Bei Temperaturen von mehr als 35 Grad Celsius ist der Bereich ohne wirksame Technik/Organisation für das Arbeiten ungeeignet.
Auch für die Trinkmenge gibt es für hohe Temperaturen eine Orientierungshilfe: 100 bis 150 Milliliter alle 15 bis 30 Minuten. Wo kein Zugang zu Trinkwasser vorhanden ist, werden – abhängig von der BT – geeignete Getränke bereitgestellt.
Die ASTA-Empfehlungen für Hitze

Kälte: Leitgröße ist die Lufttemperatur, ergänzt um Wind nach Beaufort. Stufe 1 liegt zwischen +5 und –5 Grad Celsius, Stufe 2 zwischen –5 und –20 Grad Celsius (ununterbrochen maximale Arbeitszeit 2 Stunden, danach mindestens 25 Minuten aufwärmen); Stufe 3 unter –20 Grad Celsius (ununterbrochen maximale Arbeitszeit 1 Stunde, danach mindestens eine Stunde aufwärmen; bei ab Beaufort-Stärke 6 maximale Arbeitszeit 30 Minuten). Ab Beaufort 3 wird hochgestuft.
In Stufe 3 ist Alleinarbeit zu vermeiden. Falls sie unvermeidbar ist, sind Kontrollgänge und ein Meldesystem notwendig. Bekleidung folgt dem Drei-Schichten-Prinzip, nasse Kleidung wird sofort gewechselt. Technisch helfen Einhausungen, seitliche Abschirmungen, beheizbare Kabinen und wärmende Bedienelemente.
Die ASTA-Empfehlungen für Kälte

Kostenloser Online-Kurs
Wer sich intensiv mit Wetter- und Klimarisiken am Arbeitsplatz auseinandersetzen möchte, um rechtssicher zu handeln, ist bei Donato Muro an der richtigen Adresse. Der Online-Kurs „ASR A5.1 und AMR 13.1 kompakt: Unterweisen, beurteilen, handeln“ bringt die Thematik auf den Punkt. Die Teilnahme ist kostenlos mit zwölf Monaten Zugang, inklusive Downloads und Zertifikat nach kurzem Multiple-Choice-Test.
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Die Umsetzung im Betrieb
1) Sauberer Rahmen: Es ist sinnvoll, „Einrichten“ (Technik) von „Betreiben“ (tägliche Steuerung) zu trennen. Beim Einrichten legen Sie als Arbeitsschutzverantwortlicher Verschattung, Wind-/Regenschutz, sichere Orte bei Gewitter, Entwässerung, rutschhemmende Flächen und Messpunkte fest. Gehen Sie beim Betreiben konsequent nach ASR A5.1 mit Vermutungswirkung vor – Abweichungen nur in begründeten Ausnahmefällen mit belegtem, gleichwertigem Schutz.
2) Hitzeschutz‑ und Kältebaustein in der GBU: Sehen Sie in der GBU feste Felder vor. Bei Hitze: BT-Feld (mit Mess- und Korrekturwerten), Stufe/Schwellen und Maßnahmen „sollen/müssen“. Bei Kälte: Stufe, Expositions-/Aufwärmzeit, Wind (Bft) und Upgrading. Das macht die Entscheidung für die Schichtleitung prüfbar und einheitlich.
3) Tages‑Entscheidungsblatt: Dokumentieren Sie vor Schichtbeginn UV-Index (BfS/DWD), DWD-Warnlage, lokale Beobachtung (Beaufort, Niederschlag, Gewitter), plus BT‑Berechnung. Dazu die Stop-Regeln (z. B. Gewitter < 10 s Blitz–Donner → sofort sicherer Ort; Wiederaufnahme nach 30 min), Freigaben und Rückmeldungen.
4) Infrastruktur und Logistik: Trinkstellen sind festgelegt (Ort, Zuständigkeit, Nachfüllrhythmus). Bei BT mehr als 26 Grad Celsius stehen Getränke bereit, bei BT von mehr als 30 Grad Celsius sind sie zwingend erforderlich (auf Baustellen direkt am Arbeitsplatz). Richten Sie für Kälte zugluftfreie Aufwärm-/Trockenzonen ein, halten Sie Ersatzsätze Kleidung/PSA und rüsten Sie mobile Arbeitsmittel mit beheizten Kabinen/Standheizung nach.
5) Unterweisung mit Handlungsregeln: Kein Theorievortag – klare, kurze Regeln: Schwellen, Stop-Kriterien, sichere Orte, PSA, Meldewege. Verankern Sie bei Hitze die selbstständige Anpassung von Arbeitstempo/-last nach Unterweisung. Schließen Sie bei Kältestufe 3 Alleinarbeit aus beziehungsweise sichern Sie sie mit Check-Calls ab. Notfallkarten kommen in die Tasche/Kabine.
6) Maßnahmenbündel nach TOP:
Hitze
Technik: Verschattung, Ventilation/Kühlung, Luftduschen/Vernebler, Kabinen. Organisation: Zeitverlagerung, Rotation, Entwärmungsphasen. Person: Trinken, geeignete Kleidung, Kopfschutz.
Kälte
Technik: Einhausung/Seitenschutz, Warmräume, beheizte Bedienelemente. Organisation: strikte Aufwärmfenster. Person: Drei-Schichten-System bei der Kleidung, sofortiger Wechsel nasser Kleidung.
7) Dokumentation & Nachlauf: Alles kommt zurück in die GBU, das Schichtblatt und die Betriebsanweisung. Werten Sie Ereignisse und Beinahe-Ereignisse aus, passen Sie Schwellen/Prozesse an und halten Sie damit die Vermutungswirkung stabil – und die Praxis wird mit jeder Runde robuster.
Der Autor:
Naturwissenschaftler, Ingenieur, Jurist und Arbeitspsychologe Donato Muro bringt eine Vielzahl von Qualifikationen mit, auch im vorbeugenden Brandschutz. Er möchte den Arbeitsschutz so einfach und verständlich wie möglich vermitteln, um rechtssicheres Handeln aufseiten der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu fördern.
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