- Editorial
- Schwerpunkt
- Migration als Realität
- Kulturelle Vielfalt als Chance für den Arbeitsschutz
- Unternehmen in der Pflicht
- „Nicht mehr nur nice to have“
- Warum interkulturelle Kompetenz ein Sicherheitsfaktor ist
- Coaching für internationale Teams
- Risiken für migrantische Arbeitskräfte
- Prekäre Jobs trotz Mindestlohn
- Systemrelevant – aber auch gut geschützt?
- Ankommen ist Einstellungssache
- Sicher und gesund arbeiten
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Ankommen ist Einstellungssache
Perspektivwechsel: ein deutscher Auswanderer

Illustration: KI-generiert mit ChatGPT
Deutschland, China, Mexiko – Florian Segelken hat auf drei Kontinenten gelebt und gearbeitet. Dabei hat er unterschiedliche Kulturen und Mentalitäten kennengelernt, aber auch ein paar Gemeinsamkeiten festgestellt.
Text: Holger Toth (Redaktion)
AUF DEN PUNKT:
- Einstieg gelingt über ein Beziehungsnetzwerk
- Sprache und interkulturelle Kompetenz als Schlüssel für Verständnis und Verständigung
- Respekt, Offenheit und Interesse am Land entscheidend für eine gute Integration
Es war wie so oft im Leben: Man kann viel planen – die besten Dinge passieren aber meist einfach durch Zufälle und glückliche Umstände. So auch die Karriere von Florian Segelken im Automobilbereich. Als Quereinsteiger fing der Bremer in der Branche an, damals noch in China. Inzwischen ist er in Mexiko Geschäftsführer bei Hella. Das Unternehmen gehört zur Forvia-Gruppe, einem weltweit agierenden Automobilzulieferer. Aber der Reihe nach.
Aus Interesse begann Florian Segelken an der Universität Münster ein Studium der Sinologie (China- und Ostasienwissenschaften). Es war eigentlich nur ein Nebenfach zu seinem Politik- und Wirtschaftsstudium. Schnell wurde aber klar: Ohne einen Aufenthalt in China würde er die Sprache mit all ihren Nuancen nicht vernünftig lernen können. „Außerdem hatte ich ohnehin das Ziel, die Welt zu entdecken“, sagt er. Also absolvierte er dort Praktika, begleitete zum Beispiel für deutsche Wirtschaftsverbände Messen. Dazu gehörte auch die Expo 2010 in Shanghai. Dabei lernte er nicht nur das Land und die Kultur kennen, sondern auch seine Lebensgefährtin, mit der er heute in Mexiko lebt. Ein Zufall und glücklicher Umstand also, der ihm die Entscheidung erheblich erleichterte, nach China auszuwandern. Noch dazu waren im Jahr 2010 in Deutschland die Folgen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise spürbar, als Segelken nach Asien aufbrach.
Über die Immobilien- in die Automobilbranche
Während seiner Praktika hatte Segelken Kontakte geknüpft, die sich auszahlten. Der Expat – also jemand, der außerhalb seines Heimatlandes arbeitet – begann zunächst in der Immobilienbranche. Aufgrund seines Netzwerks und seiner Sprachkenntnisse bekam er sofort eine leitende Position in einem deutschen Unternehmen. In der fast 14 Millionen Einwohner großen Hafenstadt Tianjin baute er eine Niederlassung auf, verwaltete Industrie- und Privatgebäude. Die Firma wuchs in kurzer Zeit auf 100 Mitarbeiter. Allerdings: Die Erfüllung war der Beruf für ihn nicht, zumal es in scharfem Wettbewerb kaum um die Qualität der Dienstleistung ging, sondern darum, sie möglichst günstig anzubieten – was wiederum vor allem über die Löhne der Angestellten funktionierte.
Wieder halfen ihm seine Kontakte. Und so gelang ihm der Einstieg in die Automobilbranche. Zulieferer Dräxlmaier – ein deutsches Unternehmen mit Hauptsitz in Vilsbiburg bei Landshut mit Standorten auf der ganzen Welt – suchte einen Mitarbeiter in China. Das Fachwissen war für den Hersteller von Elektrotechnik und Elektrobatterien weniger entscheidend als das sprachliche Wissen und die interkulturelle Kompetenz Segelkens. „Vielleicht hat mir die Art zu arbeiten, wie ich sie in Deutschland kennengelernt habe – strukturiert, verlässlich und genau – in dieser Situation besonders geholfen.“ sagt er.

China: Station mit Perspektive
Der heute 43-Jährige fuchste sich in die Autothematik rein, stieg vom Logistikleiter zum Leiter des Qualitätsmanagements für alle chinesischen Werke der Unternehmensgruppe auf. Seine fachlichen Qualitäten wurden geschätzt, als Führungskraft war er akzeptiert. Die Anfangszeit in China war für ihn spannend – vieles war neu, anders, herausfordernd. Doch mit der Zeit verlor das Exotische seinen Reiz. So wuchs in ihm der Wunsch, noch eine andere Region kennenzulernen und neue Impulse zu sammeln.
Die Sprache ist aus Sicht des Bremers ein wichtiger Schlüssel, um sich in einem anderen Land zu integrieren. Das trage nicht nur zur Verständigung, sondern auch zum Verständnis bei. Insbesondere in China, wo die Kommunikation auf Höflichkeit und Gesichtswahrung beruhe, waren Segelkens Kenntnisse ein großer Vorteil. „Dank meiner Sprachkenntnisse habe ich erkannt, ob jemand wirklich verstanden hatte, worum es ging – und konnte so gezielter unterstützen, klarer führen und Missverständnisse vermeiden.“
Mexiko als neue Herausforderung

Im Jahr 2017 suchte er dann eine neue Herausforderung und fand sie in Mexiko. Dem Automobilsektor blieb er treu. Für die Forvia-Gruppe, die zu den führenden Herstellern von Innenausstattung, Elektronik und Fahrzeugbeleuchtung gehört, arbeiten weltweit mehr als 150.000 Menschen. Seine Karriere führte ihn vom Vice President Qualität im Bereich Scheinwerfer über Engineering mit Schwerpunkt auf Maschinen- und Prozessplanung bis hin zur Rolle des Werksleiters – mit Gesamtverantwortung für einen Produktionsstandort.
Die nötigen Kenntnisse hatte er im Fernstudium Industrial Engineering erworben. Wirtschaftsrecht hat er ebenfalls studiert, was ihm heute zugutekommt. Denn inzwischen führt Segelken in der Forvia-Gruppe einen Unternehmensbereich mit 55 Beschäftigten, der auf die Produktion von Kunststoff-Spritzgussformen spezialisiert ist. „Auf dem Kunststoff liegen hohe Erwartungen“, führt er aus. Das Design und die Funktionalität seien dabei die wichtigsten Aspekte, zum Beispiel wenn für Rückleuchten flüssiger Kunststoff in eine spezielle Form gespritzt wird. „Die Werkzeuge und der Prozess müssen so gut sein, dass wir die hohen Ansprüche erfüllen, indem wir die angestrebten Output-Mengen in der richtigen Qualität zu den richtigen Kosten erreichen.“
Der Eindruck: Hohe Arbeitsschutzstandards
Ein Bild des Arbeitsschutzstandards in den jeweiligen Ländern hat sich Segelken im Laufe der Zeit auch machen können. Und der sei sowohl in China als auch in Mexiko auf einem durchaus hohen Level. In China wurde das Niveau durch Gesetzesänderungen in den vergangenen Jahren verschärft (siehe China-Schwerpunkt in der PRÄVENTION AKTUELL 2/2025). In Mexiko gibt es ebenfalls zahlreiche Normen, Gesetz und Vorschriften zum Arbeitsschutz, die durch staatliche Institutionen kontrolliert würden.
„Die Umsetzung hängt aber auch von der Unternehmensgröße und -struktur ab“, so Segelkens Beobachtung. In Mexiko – und noch stärker in China – herrsche ein streng hierarchisches System. Die Kontrolle seitens der Vorgesetzten sei daher unerlässlich, ansonsten könne es passieren, dass Mitarbeiter die Regeln zum Beispiel zur Benutzung persönlicher Schutzausrüstung (PSA) etwas schleifen lassen würden. Größere und international tätige Firmen wie Forvia, mit starken interne Governance-Strukturen, könnten Arbeitsschutz-Anforderungen deshalb leichter umsetzen und kontrollieren als kleine Familienbetriebe, die diese Strukturen nicht haben. „Man kann darüber diskutieren, was zu viel und was zu wenig ist“, sagt Segelken. „Mexiko verfügt über ein stark reguliertes Arbeitsrecht und Arbeitsschutzmaßnahmen. Mit Initiativen wie zum Beispiel der ‚Norma 035‘, die psychosoziale Risiken adressiert und präventive Maßnahmen vorschreibt, zeigt die Regierung ihren Fokus auf Arbeitsschutz. Unternehmen müssen dazu umfassende Nachweise erbringen.“
Verschiedene Kulturen mit verschiedenen Stärken

Der Umgang mit Arbeit und Arbeitsschutz hängt also von der Kultur in den jeweiligen Ländern ab. Deutschland steht für Florian Segelken für eine gute Struktur und für eine hohe Verbindlichkeit – das ist auch das positive Bild, das ihm gegenüber von seinen internationalen Kunden bei seinen Auslandsstationen gespiegelt wurde. Außerdem würde die Beschäftigten durch ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Selbstständigkeit bei der Lösungsfindung auffallen.
Chinas Stärken sieht er in der Disziplin der Beschäftigten und der Geschwindigkeit, mit der Innovationen auch im Bereich der Digitalisierung vorangetrieben würden. „Außerdem sind die Menschen stark regelorientiert“, sagt Segelken. „Das sorgt für hohe Effizienz in standardisierten Prozessen.“
Das lateinamerikanische Land zeichne sich durch eine hohe Arbeitsbereitschaft aus – erst recht, wenn das Zwischenmenschliche stimmt. Die Mexikaner seien sehr flexibel und spontan, wenn sich Arbeitsaufträge ändern würden und sie sich auf eine neue Tätigkeit einstellen müssten. „Hier ist immer ein gewisser Optimismus spürbar“, hat Segelken festgestellt. „Es macht einfach Spaß, in Mexiko zu arbeiten.“
Wie die Länder mit ausländischen Beschäftigten umgehen
Der Umgang der Länder mit ausländischen Beschäftigten und Firmen sei ebenfalls unterschiedlich. China vergibt – ähnlich wie die USA – „Green Cards“ als Arbeitsvisa, geht dabei aber restriktiv vor und bewertet die Bewerber mit einem Punktesystem. Die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis gibt es nur für hochqualifizierte Fachkräfte. „Wer einen positiven Beitrag leistet, ist für eine gewisse Zeit willkommen“, beschreibt Segelken. Sein Eindruck sei, dass sich das Land nicht von Arbeitskräften aus dem Ausland abhängig machen wolle. Für diese nationalistischen Tendenzen spielten auch die Kolonialerfahrungen von Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts eine Rolle, als europäische Staaten, Russland und Japan mit militärischer Gewalt Einfluss auf China ausübten. Von Einwanderern wird erwartet, dass sie sich an die gesellschaftlichen Regeln halten – eine Erwartung, die meist bekannt ist und in der Regel dem gesunden Menschenverstand entspricht. Wer straffällig wird, kann schnell seinen Aufenthaltsstatus verlieren.
In Mexiko gibt es die staatliche Vorgabe, dass nur zehn Prozent der Beschäftigten Ausländer sein dürfen. Sprachbarrieren spielen bei der Integration weniger eine Rolle, da viele Immigranten Spanisch sprechen. Bei Forvia beispielsweise stammt das Gros der ausländischen Mitarbeiter aus Mittel- und Südamerika. Insgesamt sei das Land aber in puncto Visa offener als China. Zugezogenen würden auch langfristige Perspektiven ermöglicht. „Dadurch hat man als Ausländer das Gefühl, willkommen zu sein und dazuzugehören“, sagt Segelken.
In jedem Land unterscheiden sich die Wege zum Ziel
Interkulturelle Trainings würden aus Segelkens Sicht bei der Integration nur wenig nützen. Das Wissen sei schnell wieder vergessen. „Ich glaube, dass es am Anfang grundsätzlich immer ein bisschen exotisch ist.“ Um in einem anderen Land anzukommen, sei stattdessen die innere Einstellung entscheidend. Es gehe darum, mit Respekt, Offenheit und Interesse in ein neues Land zu gehen und sich mit Denk- und Arbeitsweisen auseinanderzusetzen. Nach dem Motto: Wer zuhört und nicht nur seine eigenen Ideen durchsetzen will, gewinnt Vertrauen. „In jedem Land unterscheiden sich die Wege, um ans Ziel zu kommen“, fasst Segelken zusammen.
Die Überlegung nach Deutschland zurückzukehren, steht für Florian Segelken derzeit nicht im Fokus. Undenkbar ist es für ihn aber auch nicht. Es müsste allerdings schon ein passendes Angebot geben. „Im Moment habe ich den Eindruck, dass wirtschaftlich eher abgebaut als aufgebaut wird“, sagt der Geschäftsführer. Stattdessen könnte er sich Projekte in ganz anderen Regionen der Welt vorstellen. In südostasiatischen Ländern wie Malaysia, Thailand oder Indonesien zum Beispiel. Oder in Nordafrika, dann hätte er auf dem vierten Kontinent gelebt und gearbeitet. Arabisch spricht Segelken neben Englisch, Chinesisch und Spanisch schon, was die Integration erleichtern würde. Das ist aber alles noch Zukunftsmusik. Im Moment ist er in Guadalajara und fühlt sich als Expat in Mexiko pudelwohl – und das schon seit acht Jahren.