Normen schaffen Sicherheit

Dank Normen passen die Glühbirne in die Fassung und das Papier in den Drucker. Als allgemein anerkannte Regeln der Technik sind sie fester Bestandteil unseres Alltags. Besonders groß sind die Auswirkungen auf den Arbeitsschutz: Normen definieren Anforderungen an Sicherheit und Qualität von Produkten, Prüfverfahren oder Dienstleistungen. So tragen sie dazu bei, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu vermeiden.

Text: Sonja Miesner              

AUF DEN PUNKT:

  • Normen legen Anforderungen an Produkte, Prüfverfahren und Dienstleistungen fest
  • Ihre Anwendung ist grundsätzlich freiwillig, sie können aber verbindlich werden
  • Ziel: Entwicklungen in der Normung früh erkennen und Sicherheitsaspekte von Beginn an berücksichtigen

Manchmal zeigt sich erst in der Praxis, dass Normen fehlen oder den technischen Fortschritt nicht ausreichend abbilden. Ein Beispiel dafür sind Erdbaumaschinen. Schlechte Sichtverhältnisse an Baggern oder Radladern haben immer wieder zu schweren, teils tödlichen Unfällen geführt, weil die Fahrer Personen im toten Winkel nicht gesehen haben. Die bis dahin geltende europäische Norm wurde daraufhin kritisch hinterfragt. Die Europäische Kommission hat ihre Vermutungswirkung aufgehoben und Nachbesserungen gefordert. Die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN), Berufsgenossenschaften und Marktüberwachung haben im Überarbeitungsprozess neue Anforderungen und Prüfkriterien für die Sichtverhältnisse vom Fahrerplatz eingebracht. Heute sind Kamera-Monitorsysteme und zusätzliche Spiegel Standard.

Ein weiteres Beispiel sind Therapieliegen, die man in großer Zahl in Arzt- und Physiotherapiepraxen sowie in Kliniken findet. Hier kam es durch die elektrische Höhenverstellung mehrfach zu Unfällen, die zu Quetschungen, Frakturen und in zwei Fällen sogar zum Tod geführt haben. Reinigungskräfte hatten unter der Liege versehentlich den Schalter für die Absenkung betätigt, wurden eingeklemmt und konnten sich nicht mehr befreien. Fachleute aus dem Arbeitsschutz und dem Gesundheitswesen haben daraufhin gemeinsam Lösungen erarbeitet, wie die Höhenverstellung sicher gestaltet werden kann und unter anderem die Erarbeitung einer europäischen Norm initiiert. Diese soll künftig Sicherheitsmechanismen beschreiben, die eine versehentliche Höhenverstellung technisch verhindern und somit sowohl Beschäftigte als auch Patientinnen und Patienten schützen.

Rechtliche Bedeutung: Freiwillig – und doch ratsam

Die Anwendung von Normen ist grundsätzlich freiwillig. Das unterscheidet sie von Gesetzen sowie von den Vorschriften und Technischen Regeln des Staates und der gesetzlichen Unfallversicherung. Normen können jedoch verbindlich werden, wenn Gesetze oder Verträge auf sie verweisen.

Besonders wichtig sind in Europa die harmonisierten europäischen Normen, die die europäischen Normungsorganisationen im Auftrag der Europäischen Kommission erarbeiten: Sie konkretisieren im Bereich der Produktsicherheit die Anforderungen von EU-Richtlinien und -Verordnungen, die sehr allgemein formuliert sind. Die Maschinenrichtlinie etwa gilt für kleine, handgehaltene Werkzeuge genauso wie für große Baumaschinen oder Fertigungsstraßen. Detaillierte Anforderungen an verschieden Arten von Maschinen werden in einzelnen Normen geregelt, die viel besser auf deren Eigenheiten eingehen und im Falle technischer Neuerungen auch schneller angepasst werden können, als dies bei einem Gesetz möglich wäre.

Für Hersteller bieten harmonisierte Normen den großen Vorteil der Vermutungswirkung. Sie können davon ausgehen, dass sie mit Anwendung der Norm automatisch auch die gesetzlichen Anforderungen erfüllt haben. Geschieht mit ihrem Produkt ein Unfall, gilt die Umkehr der Beweislast und andere müssen nachweisen, dass das Produkt fehlerhaft und dadurch unsicher war.

Wie entsteht eine Norm?

Der Weg zur Norm beginnt meist mit einem Bedarf aus der Praxis – etwa von Industrie, Verbrauchern oder anderen Interessengruppen. Grundsätzlich kann jeder einen Antrag auf Erarbeitung einer Norm stellen. Wenn genügend Interesse besteht, erarbeiten Fachleute im zuständigen Normenausschuss einen Entwurf. Während einer öffentlichen Umfrage können alle Interessierten dazu Stellung nehmen. Nach ihrer Verabschiedung wird jede Norm spätestens alle fünf Jahre überprüft. Je nach Einschätzung bleibt sie unverändert bestehen, wird überarbeitet oder zurückgezogen.

Normen können auf verschiedenen Ebenen erarbeitet werden:

  • National beim Deutschen Institut für Normung (DIN) oder der Deutschen Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE).
  • Europäisch durch die europäischen Normungsorganisationen CEN und CENELEC. DIN und DKE sind dort Mitglied und stimmen in nationalen Spiegelgremien die Positionen ab, die sie in den europäischen Normungsgremien vertreten. Die Mitglieder von CEN und CENELEC sind verpflichtet, europäische Normen ins nationale Normenwerk zu übernehmen und entgegenstehende nationale Normen zurückzuziehen.
  • International bei ISO und IEC. Auch dort sind DIN und DKE Mitglied und bringen die deutsche Position ein. Eine Übernahmeverpflichtung wie auf europäischer Ebene gibt es für internationale Normen nicht.

Normung lebt von der Mitwirkung

In der Normung gelten wichtige Grundprinzipien: Das Verfahren muss transparent sein, die Norm soll im Konsens erarbeitet werden und alle betroffenen Kreise (zum Beispiel Hersteller, Behörden, Wissenschaft, Anwender, Arbeitsschutz, Verbraucher- und Umweltschutz) müssen die Möglichkeit haben, sich zu beteiligen und ihre Expertise einzubringen.

Allerdings macht der Fachkräftemangel auch vor der Normung nicht halt. Tausende Expertinnen und Experten, die in Normungsgremien mitarbeiten, gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Neue Fachleute zu gewinnen, wird schwieriger, da entsendende Stellen wie etwa Unternehmen immer weniger Kapazitäten haben, um sich in der Normung zu engagieren. Umso wichtiger ist es für die interessierten Kreise, Ressourcen zu bündeln und Prioritäten zu setzen.

Für den Arbeitsschutz übernimmt seit über 30 Jahren die KAN die Aufgabe, sowohl die technische Normungsarbeit als auch normungspolitische Entwicklungen zu beobachten. Sie setzt sich dafür ein, dass Belange von Sicherheit und Gesundheit in der Normung ausreichend berücksichtigt werden, ein – aber auch dafür, dass Normen keine überzogenen Anforderungen stellen, die wissenschaftlich nicht begründet sind. Die KAN bündelt in Deutschland die Position von Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Bund und Ländern sowie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und kann als deren gemeinsames Sprachrohr ein größeres Gewicht in die Waagschale werfen, als es die einzelnen Kreise könnten.

Künstliche Intelligenz, smarte persönliche Schutzausrüstung mit digitalen Funktionen, fahrerlose mobile Maschinen, Exoskelette oder neue Technologien zur Eindämmung des Klimawandels sind nur einige der Themen, mit denen sich die Normung aktuell befasst und die den Arbeitsschutz betreffen. Entscheidend ist es, Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und zu begleiten, damit Sicherheitsaspekte von Beginn an mit berücksichtigt werden.

Die Autorin:

Sonja Miesner arbeitet in der Kommunikationsabteilung der Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN). Die Institution vertritt die Interessen des Arbeitsschutzes gegenüber der Normung. Sie beobachtet Normungsprozesse, gibt Stellungnahmen ab und organisiert Fachgespräche.
www.kan.de