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Gutes Gewissen für gutes Geld
Wer möchte, kann seine klimaschädlichen Emissionen mittels freiwilliger Zahlungen „kompensieren“. Was steckt dahinter und wie sinnvoll ist dieses Instrument?
Nicht nur jeder einzelne Mensch hinterlässt einen sogenannten CO2-Fußabdruck, sondern auch Organisationen und Unternehmen. Die als Corporate Carbon Footprint (CCF) bezeichnete Treibhausgasbilanz ist ein zentraler Bestandteil der Ökobilanz und der Nachhaltigkeitsberichterstattung eines Unternehmens. Der CCF zeigt, wo und in welcher Menge Treibhausgase im Produktionsprozess anfallen.
In der Regel wird der CO2-Fußabdruck in sogenannten CO2-Äquivalenten (CO2-Äq) angegeben, denn neben Kohlenstoffdioxid werden auch fünf andere Treibhausgase berücksichtigt. Dabei handelt es sich um Methan (CH4), Lachgas (N2O), Schwefelhexafluorid (SF6), Fluorkohlenwasserstoffe (FKW), Perfluorcarbone (PFC) und Stickstofftrifluorid (NF3). Das Treibhauspotenzial liegt zum Teil deutlich über dem von CO2 – im Falle von Methan beispielsweise um den Faktor 21, im Falle von SF6 sogar um den Faktor 22.800.
DER FUSSABDRUCK JEDES EINZELNEN LÄSST SICH IM INTERNET BERECHNEN.
Der Fußabdruck jedes Einzelnen lässt sich mit im Internet vorhandenen Rechnern (zum Beispiel dem des Bundesumweltamtes) zwar nicht exakt, aber doch hinreichend genau darstellen. Bei Unternehmen ist die Berechnung weit aufwendiger, aber man kann sich dafür an Dienstleister wenden, die sich an international anerkannten Standards orientieren.
Im deutschen Raum werden vor allem die DIN ISO 14064-1 und der Corporate Standard des Greenhouse Gas Protocols (GHG Protocol) für die Bilanzierung der Emissionen eines Unternehmens genutzt. Die DIN-Norm ist kostenpflichtig, dafür standardisiert sie aber auch die Prüfung der berechneten Treibhausgasbilanz durch eine unabhängige Prüforganisation. Das GHG Protocol ist kostenlos im Internet verfügbar und bietet anschauliche und konkrete praxisnahe Beispiele an. Es eignet sich insbesondere für Organisationen, die ihre Bilanz vielleicht zum ersten Mal und ohne viel Vorwissen erstellen möchten.
Wenn der Einzelne seinen CO2-Fußabdruck verringern will, kann er beispielsweise weniger Auto fahren, weniger Fleisch essen oder auf die Fernreise mit dem Flugzeug verzichten. Oder er kann, wenn er trotzdem in die Karibik will, auf der Buchungswebsite der Airline auf den Button „Flug kompensieren“ klicken und, je nachdem wie schnell die Kompensation vor sich gehen soll, zwischen 250 und zehn Euro Gebühr entrichten.
FÜR DAS WELTKLIMA IST NICHT ENTSCHEIDEND, WO TREIBHAUSGASE AUSGESTOSSEN WERDEN.
Diese Kompensation ist freiwillig und soll die Emissionen dieses Fluges ausgleichen. Auch Unternehmen können dieses Instrument nutzen, um beispielsweise dienstliche Flüge, den Fußabdruck einzelner Produkte oder des ganzen Unternehmens auszugleichen.
Dahinter steckt der Gedanke, dass es für das Weltklima nicht entscheidend ist, wo Treibhausgase ausgestoßen oder vermieden werden. Emissionen, die an einer Stelle verursacht wurden, können auch durch eine Einsparung an einer anderen, weit entfernten Stelle ausgeglichen werden. Treibhausgase verteilen sich in der Atmosphäre und verbleiben nicht am Ort ihrer Entstehung.
Bei der freiwilligen Kompensation wird zunächst die Höhe der verbleibenden Emissionen einer Handlung berechnet, zum Beispiel einer Flugreise, Bahn- oder Autofahrt, oder bei der Herstellung eines Produkts. Die Kompensation erfolgt dann über Zertifikate, mit denen dieselbe Emissionsmenge in Klimaschutzprojekten ausgeglichen wird. Entscheidend ist, dass es sich bei den Projekten um solche handeln muss, die ohne die Gelder aus der Kompensation gar nicht entstanden wären.
NICHT ALLE ANBIETER SIND SERIÖS.
In vielen Ländern Afrikas beispielsweise kochen die meisten Familien auf offenem Feuer. Das hat einen enormen Feuerholzverbrauch zur Folge, die Wälder sind daher häufig bereits abgeholzt, und verteuert den Holzpreis drastisch. Ein Klimaschutzprojekt sorgt dafür, dass sich auch arme Familien hocheffiziente Öfen leisten können, die 80 Prozent weniger Holz brauchen. Insgesamt sollen dadurch 31.000 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden. Andere Projekte bauen Kleinbiogasanlagen in Nepal, Solaranlagen im Senegal oder kleine Wasserkraftanlagen in Honduras.
Es gibt mittlerweile viele kommerzielle Dienstleister und gemeinnützige Organisationen, die solche Zertifikate für Endkunden anbieten. Die gemeinnützigen betätigen sich meist auch als Projektentwickler, die kommerziellen häufig nur als Zwischenhändler, die kaufen und verkaufen.Wichtig ist, dass die Projekte bestimmten Qualitätsstandards entsprechen. So hat die Stiftung Warentest 2018 sechs Projektentwickler verglichen. Drei davon erhielten die Bewertung „sehr gut“, zwei andere waren nur „ausreichend“.
WICHTIG IST, DASS DIE PROJEKTE BESTIMMTEN QUALITÄTSSTANDARDS ENTSPRECHEN.
Wichtig ist, dass die Projekte bestimmten Qualitätsstandards entsprechen. Diese sollen sicherstellen, dass Treibhausgasemissionen tatsächlich in der geplanten Höhe ausgeglichen werden. In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr nationale und internationale Standards etabliert. Internationale Standards wie zum Beispiel der Verified Carbon Standard (VCS) oder der Gold Standard decken den Großteil des Marktes ab. In Deutschland gibt es zum Beispiel Projekte und Standards für die Renaturierung von Mooren.
Der Gold Standard wurde vom World Wide Fund For Nature (WWF) und anderen Umweltverbänden entwickelt. Gold-Standard-Projekte kennzeichnen zusätzlich soziale und Umweltaspekte, die zur Erreichung von mindestens einem der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen beitragen.
VCS ist der weltweit am meisten verwendete freiwillige Standard zur Kompensation von Treibhausgasemissionen. Er besitzt daher eine große Marktrelevanz, besonders im Bereich vermiedene Entwaldung.
Wer seine Emissionen beispielsweise bei den Klimaschutzorganisationen myclimate, Klimakollekte, Atmosfair oder Climate Partner ausgleichen will, zahlt als Einzelperson zwischen 15 und 28 Euro pro Tonne (Stand: Juni 2021), Unternehmen dagegen deutlich weniger. Die Hauptzielgruppe für die Organisationen sind Unternehmen, denn der größte Teil des Budgets für die Projekte stammt aus deren Kompensationszahlungen. Die Anbieter von Zertifikaten konkurrieren auf einem umkämpften Markt und die kompensierenden Unternehmen entscheiden sich oft für das günstigste Angebot.
Aber es gibt auch strukturelle Kritik an dem Instrument, denn Emissionen vermeiden und verringern ist immer die bessere Alternative – was man nicht emittiert, muss man gar nicht erst aufwendig ausgleichen. Manche Kritiker vergleichen die C02-Kompensation gar mit dem Ablasshandel im Mittelalter. Damals konnten die Gläubigen sogenannte Ablassbriefe von der katholischen Kirche käuflich erwerben, die einem versprachen, dass zeitliche Sündenstrafen im Fegefeuer dem Geldbetrag entsprechend verkürzt würden.
ABER ES GIBT AUCH STRUKTURELLE KRITIK AN DEM INSTRUMENT, DENN EMISSIONEN VERMEIDEN, IST IMMER DIE BESSERE ALTERNATIVE.
DIE ANBIETER VON ZERTIFIKATEN KONKURRIEREN AUF EINEM UMKÄMPFTEN MARKT.
Die bezahlte Emissionskompensation per Mausklick suggeriert, man sei jetzt klimaneutral. Meine Emissionen beziehungsweise Klimasünden seien ja nicht weiter schlimm, solange ich ausreichend kompensiere. Der Anreiz, Treibhausgase erst gar nicht entstehen zu lassen, sinkt. Wenn ein Unternehmen für fünf Euro pro Tonne Treibhausgase kompensieren kann, ist es fraglich, ob es noch in tatsächliche Vermeidung der eigenen Emissionen investiert.
Bei der UN-Klimakonferenz in Paris im Dezember 2015 haben sich 197 Staaten darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Dies wird mit Klimakompensation alleine sicher nicht gelingen. Wesentlich bedeutender sind die Anstrengungen, jede Form von schädlichen Emissionen an jedem Ort und bei jeder Aktivität zu reduzieren.
Weitere Informationen:
Ratgeber des Umweltbundesamtes: Freiwillige CO2-Kompensation durch Klimaschutzprojekte
www.umweltbundesamt.de